Auch Abbruch ist Aufwertung
Von Dagmar Caruso
(erschienen in Allgemeine Bauzeitung, Wochenzeitung für das gesamte Bauwesen, Nr. 37 vom 14. September 2012)
Leipzig – Nach einem Jahr Förderpause hat der Freistaat Sachsen im August eine Million Euro aus zusätzlichen Steuereinnahmen ausgeschüttet, um kleinere Gemeinden mit hohem Wohnungs-Leerstand beim Rückbau nicht mehr benötigter Wohngebäude zu unterstützen. Dieser wohnungspolitische Ansatz ist jedoch nicht ganz unumstritten. Gefordert wird „stattdessen“ mehr Geld für eine „zukunftsfähige Stadtentwicklung“ einzusetzen, wobei zu erhaltende Wohngebiete aufgewertet, mehr altersgerechte Wohnungen geschaffen, Gebäude energetisch saniert und Investitionen für die Citys gefördert werden müssten. „Nur so“ sei es möglich, den demografischen Wandel aktiv zu gestalten.
Verfolgt man die Diskussion könnte man fast den Eindruck gewinnen, Rückbau und erfolgreiche Stadtplanung seien geradezu diametral entgegengesetzte Pole. Dabei werden häufig gerade durch Rückbauarbeiten zielgerichtete Antworten auf den Strukturwandel in deutschen Kommunen ermöglicht. So lässt sich etwa die Anpassung der Wohneinheiten auf die neuen Bedürfnisse einer stetig wachsenden Anzahl von Senioren- und Singlehaushalten durch flexiblere Grundrisslösungen mit einem Gebäude-Abbruch und anschließendem Neubau oft effektiver umsetzen als mit entsprechenden Sanierungsmaßnahmen. Strukturpolitische Ziele sind es auch, die die nordrheinwestfälische Landesregierung mit Abbruchmaßnahmen verfolgen will. Nicht zuletzt um soziale Brennpunkte zu entschärfen, soll es dort in Zukunft in Regionen mit vielen Leerständen und Schrottimmobilien häufiger zu großflächigen Abbruchmaßnahmen kommen. Mit diesem Ansatz steht NRW längst nicht mehr alleine da. Im Bremer Problembezirk Lüssum hat man bereits Häuser kontrolliert zurückgebaut, um Spannungen zu entschärfen, – mit Erfolg, wie aus der Landesregierung zu hören war.
Beispiele, die auch verdeutlichen, dass Leerstände und die daraus resultierenden Probleme schon längst kein reines „Ostphänomen“ mehr sind. Bereits im „Techem-empiricia-Leerstandsindex“ für das Jahr 2008 hoben die Autoren die kontinuierliche Annäherung der Leerstandsquoten von Ost und West seit 2001 hervor und machten einen gesamtdeutschen Trend hin zur Stadt und vor allem hin zu prosperierenden Regionen aus. Diesem überall festzustellenden Trend ausschließlich mit einer Gebäudesanierung begegnen zu wollen, ist zu kurz gedacht.
Laut einer bundesweiten Studie der Kampagne „Impulse für den
Wohnungsbau“ aus dem Jahr 2011 ist zudem mehr als jedes zehnte Wohnhaus in Deutschland nicht mehr wirtschaftlich zu sanieren. In vielen Fällen sei Abbruch sogar inklusive anschließendem Neubau günstiger. In Zeiten knapper Kassen eigentlich Anreiz genug, Rückbautätigkeiten nicht ganz aus den politischen Aktionsprogrammen zu verbannen. Dies gilt umso mehr, zumal gerade energetische Aspekte mit „Abbruch und Ersatzneubau“ sehr zielführend zu realisieren sind. Das sprichwörtliche „40 Liter-Haus“ zum „3 Liter-Haus“ zu sanieren, ist mitunter wesentlich aufwändiger und teurer. Ganz zu schweigen von den langfristigen Effekten und Impulsen, die von neuen Passivhäusern oder Plus-Energie Häusern ausgehen können.
Zur Erreichung der Klimaziele haben der Bund und die meisten Länder auf baupolitischer Ebene jedoch die Förderung der energetischen Sanierung als nahezu alleinigen Königsweg auserkoren (Fördersumme 2012 in Sachsen: 25 Millionen). Experten hingegen warnen mittlerweile schon vor einer heraufziehenden „Überdämmung“ mit unabsehbaren Folgen für das Wohnklima und die Gesundheit der Bewohner.
„Entweder-oder“-Haltungen mögen durch ihre Polarisierung zur politischen Konturschärfung beitragen. Unter sachlichen Erwägungen sind sie jedoch grundfalsch. Ob für Grünflächen oder für die Neuerrichtung moderner bedarfsorientierter Gebäude, die technisch auf der Höhe der Zeit sind: indem sie Platz für Modernes schaffen, helfen Abbruchmaßnahmen effektiv dabei, den notwendigen Gebäude-Strukturwandel in unserem Land zu bewältigen. Es gibt daher keinen Grund, sie in politischen Aktionsprogrammen komplett zu ignorieren. Stattdessen sollte ein ausgewogener staatlicher Fördermix bereitgestellt werden, in dem auch die Abbrucharbeiten ihren berechtigten Platz haben.